Abenteuer Kamtschatka - Interview mit Selina Meier

Selina Meier, eine gute Freundin von mir, war im Sommer auf Studienreise in Kamtschatka. Als sie mir von ihrer Reise erzählte, dachte ich sofort: Das möchte ich mit euch teilen! Denn wer von euch hat schonmal etwas von Kamtschatka gehört? Ich jedenfalls kannte diese Region überhaupt nicht. Und daher finde ich es umso spannender, mehr darüber zu erfahren. Selina erzählt euch in einem Interview über ihre abenteuerlichen Erlebnisse auf der Studienreise. Viel Spass beim Lesen! Und danke Seli für deinen super Bericht!


#10 Interviewfragen

Was kennzeichnet Kamtschatka?

Kamtschatka ist eine Halbinsel im Südosten vom russischen Sibirien. Die Halbinsel wird unteranderem als Land der Bären und Vulkanen bezeichnet. Das nicht ohne Grund. Die Kamtschatka Bären sind weltweit die zweitgrössten ihrer Art und besiedeln das Land mit der weltweit grössten Dichte an Bären. Sie sind einem, im Gegensatz zu anderen Arten, gut gesinnt. Der Reichtum an Lachs in den vielen Flüssen gewährt ihnen ein Leben ohne grosse Futtersorgen. Das zweite grosse Kennzeichen sind die beeindruckenden Vulkane, rund 29 aktive Vulkane befinden sich auf einer Fläche grösser als Deutschland. Kamtschatka zählt zu den geologisch aktivsten Regionen der Welt. Das Tal der Geysire ist eine der touristischen Hauptattraktionen und nur mit dem Hubschrauber erreichbar. Deswegen hatten wir auf der Reise dieses Ziel auch ausgelassen. Viele Gebiete auf Kamtschatka sind noch unberührt. Die Holzvorräte scheinen unerschöpflich zu sein. Von den rund 380'000 Einwohner befinden sich mehr als die Hälfte in der Hauptstadtregion. In den abgelegenen Gebieten trifft man nur noch auf kleinere Dörfer oder Rentierhirten. Das Klima ist eher mild im Sommer und im Winter kann im Süden der Insel bis zu 10 Meter Schnee fallen. Das verlangt von den Einwohnern grosse Anpassungsfähigkeit ab. 

Wieso bist du nach Kamtschatka gereist?

Ich bin über das Studium auf diese Expedition aufmerksam geworden. Zuvor hatte ich schon früher einen Dokumentarfilm über die Halbinsel gesehen. Schon damals hat mich die Region beeindruckt, war aber nicht ein erklärtes Reiseziel. Mit diesem Angebot wurde die teuerste Region Russlands auch für mich als Student finanzierbar.    

Wie hast du dich auf die Reise vorbereitet?

Im Nachhinein wohl eher zu wenig, auf jeden Fall im Vergleich zu den anderen Expeditionsteilnehmern. Von Vorteil wären wohl einige Lektüren über die Flora, die Fauna oder die Geologie gewesen. Ich habe mich jedoch auf die zugesandte Packliste beschränkt, inklusive Bärenglocke und Kleider, welche sowohl für das kalte Wetter passten als auch für wärmere Temperaturen. Zudem brauchten wir für Russland ein Visum, auch für kürzere Aufenthalte.

Wie sah ein typischer Tag auf eurer Expedition aus?

Meist wurde um halb acht gefrühstückt. Wir wurden in drei Interessensgruppen aufgeteilt: Geographie/Geologie, Botanik/Forstwirtschaft und Zoologie. Alle besuchten die gleichen Orte, aber natürlich mit den gewählten Schwerpunkten. Es begleiteten uns die Experten und Forscher für dieses Fachgebiet und jeweils ein Dolmetscher. Wir machten kleinere Rundgänge mit oder ohne Bus aber auch grössere Wanderungen. Es gab auch Tage, wo man bis an die 14 Stunden mit dem Bus unterwegs war. Die Distanzen auf dieser Halbinsel sind im Vergleich zur Schweiz natürlich riesig und ausserdem waren die Strassen sehr schlecht, so dass man nur langsam vorankam. Zum Mittagessen gab es immer ein Picknick aus Brot, Käse, Fleisch oder Fisch und Gemüseaufstrich. Das Abendessen bestand meist aus einem Eintopf oder einer Suppe, zur Abwechslung durften es auch mal Nudeln sein. Nach dem Abendessen gab es Vorträge zu Themen wie Forstwirtschaft, Geologie oder Zoologie. Der Botaniker stellte uns dann jeweils Pflanzen vor, welche er tagsüber gesammelt hatte. Abschliessend ist man noch am Lagerfeuer zusammengesessen und hat den Abend ausklingen lassen. Hier fand der kulturelle Austausch zwischen der deutschen und der russischen Kultur, meist in musikalischer Form, statt.

Wie empfandest du die Menschen und ihre Kultur dort?

Den Kontakt zu den einheimischen Busfahrern und dem Küchenteam fand ich sehr bereichernd. Sie erfüllten einige Klischees wie die Liebe zum Alkohol oder der anfänglichen Reserviertheit gegenüber Fremden. Trat man aber in Kontakt mit den Einheimischen, wurde man schon nach kurzer Zeit ausnahmslos als Freund aufgenommen. Die entspannten Abende am Lagerfeuer habe ich genossen. Leider hatten wir nur sehr wenig Kontakt mit anderen Völkern wie den Korjaken oder den Ewenen, als Begleiter hatten wir nur Russen dabei.

Wie habt ihr euch mit den Einheimischen verständigt?

Als offizielle Sprache gilt Russisch, was auch von allen gesprochen wird. Von den Russen konnten einige ein paar Brocken Englisch oder sogar Deutsch. Hauptsächlich kommunizierten wir aber über unsere Dolmetscher, welche uns immer begleiteten. Es gab einige in der 40-köpfigen Gruppe aus der ehemaligen DDR, die noch russisch in der Schule gelernt hatten. Beim Essenschöpfen oder anderen alltäglichen Handlungen verständigten wir uns mit Zeichensprache, für die wissenschaftlichen Erklärungen hätte diese jedoch nicht gereicht.

Was hat dich am meisten beeindruckt, als du nach Kamtschatka kamst?

Die Art, mit welcher die Menschen mit der rauen Natur dort umgehen, hat mich am meisten beeindruckt. Die geringe Bevölkerungsdichte, der harte Winter, die ständige Gefahr der aktiven Vulkane. Dazu kommt die Vergangenheit mit dem Kommunismus, welchem sie noch immer ein bisschen nachtrauern. Die Einwohner Kamtschatkas litten extrem unter der Perestroika. Ein paar Jahre nach dem Kollaps der Sowjet Union ging in Moskau ein Hilferuf ein, weil die Menschen nahe am Verhungern waren. Noch heute leben die Menschen in sehr armen Verhältnissen. Was den Handel von Autos betrifft, so beziehen sie diese aus Japan, da Japan per Schiff einfacher zu erreichen ist als Russland via den Landweg. Sie fahren somit mit Autos aus dem Linksverkehr im russischen Rechtsverkehr.    

Erzähle uns von einem Highlight auf eurer Expedition!

Für mich ganz klar das Gebiet um den Vulkan Tolbatschick und die Besteigung des Nebenkraters! Der schwarze Sand im Kontrast mit farbigen Blumen oder mit der roten Asche gab ihm einen ganz besonderen Hauch an Schönheit. Zudem war das Wetter für einmal auf unserer Seite, ansonsten hat es oft geregnet. Das führte dazu, dass alles zu leuchten begann.  In den Jahren 1975/76 fand hier weltweit einer der grössten Ausbrüche seit 1784 statt. Grosse Mengen an Lava flossen durch Spalten im Boden aus und kleinere Vulkankegel entstanden. 2012/2013 dann ein weiterer Ausbruch, bei dem ausserdem bisher unbekannte Diamanten gefunden wurden. Unsere Wanderungen führten über genau jenen erkalteten Lavastrom, aus dem zeitweise noch immer heisse Luft oder Gase austraten. Die Formen, welche das ehemals heisse Gestein hinterlassen hatte, waren sehr beeindruckend. Ein weiteres kleines Highlight war für mich der Kontakt mit den Bären, zu welchen wir aber immer einen respektvollen Abstand hatten.

Gab es etwas, das dir persönlich Mühe bereitet hat?

Selbstverständlich gab es immer wieder Situationen die unangenehm waren, ich erinnere mich an überflutete Zelte und nasse Schuhe. Für mich war es das erste Mal, dass ich für mehrere Wochen mit dem Zelt unterwegs war. Man gewöhnte sich aber in der Regel gezwungenermassen daran oder musste sich mit spontanen kreativen Ideen behilflich sein.

Kannst du Kamtschatka als Reiseziel weiterempfehlen? Wenn ja, an welche Zielgruppe?

Auf jeden Fall! Landschaftlich und auch in der Biologie ist Kamtschatka sehr eindrucksvoll! Wenn man in diesem Gebiet unterwegs ist, muss man jedoch bereit sein auf den einigen Luxus zu verzichten. Auch ohne Russisch oder Dolmetscher ist das Reisen eher schwierig. Zudem sind die Strassen oft in einem schlechten Zustand, sodass ein gutes geländegängiges Auto unabdingbar ist. Die meisten Gegenden sind auch oft nur aus der Luft zugänglich. Ausserdem ist Kamtschatka einer der teuersten Regionen Russland, da der Transportweg über das Land von einem Gebirge blockiert ist    

Interview von Sabrina Grünenwald

Autorin: Selina Meier

Fotogalerie

(c) Bilder: Roger Honegger, Ines Köhler, Annalena Jäger

Kommentar schreiben

Kommentare: 0